Reform der Lebensmittelüberwachung
Warum brauchen wir eine Reform der Lebensmittelüberwachung?
Die im BMELV vorgenommene Auswertung der bisher vorliegenden Erkenntnisse zu den so genannten
Gammelfleisch-Vorkommnissen weist in den vergangenen Monaten auf ein erhebliches Problem der Lebensmittelüberwachung in qualitativer und quantitativer Hinsicht hin. Diese Einschätzung wird von externen Experten, die Zugang zur Lebensmittelüberwachung und damit Praxiserfahrung haben und mit denen Bundesminister Horst Seehofer in den letzten Tagen intensiv beraten hat, geteilt.
Zwar sind die Missstände unmittelbar auf das unverantwortliche Vorgehen einzelner Wirtschaftsbeteiligter zurückzuführen, jedoch hat die mangelhafte Qualität von Überwachungsmaßnahmen verhindert, dass die Missstände rechtzeitig aufgedeckt und abgestellt wurden. Das betrifft die Kontrollen und Überwachung aller Lebensmittelbereiche. Insofern müssen die Strukturen der Lebensmittelüberwachung in Deutschland grundlegend verbessert werden.
Die erkannten Probleme gehen über die akut betroffenen Bereiche der Überwachung von fleischverarbeitenden Betrieben und von Handelsunternehmen hinaus und sind struktureller Natur.
Auch wenn nach dem derzeitigen Kenntnisstand in den zur Rede stehenden Fällen trotz des umfangreichen In-Verkehr-Bringens untauglicher Lebensmittel keine Gesundheitsgefährdung für Verbraucherinnen und Verbraucher besteht und bestanden hat, hat das Vertrauen in das deutsche Lebensmittelsicherheitssystem gelitten, wodurch national, europäisch und international der Lebensmittelwirtschaft wirtschaftlicher Schaden droht und der Ruf Deutschlands in der Lebensmittelbranche beschädigt wird. Sowohl die Lebensmittelwirtschaft, die Fleischwirtschaft und das Fleisch verarbeitende Handwerk fordern nachdrücklich eine Qualitätsverbesserung in der Lebensmittelüberwachung.
Was ist unser Konzept?
Die strukturellen Schwächen der Lebensmittelüberwachung sind allein mit unterstützenden Maßnahmen und verbesserten Kennzeichnungs- und Melderegelungen nicht zu beheben. Es ist notwendig, die Qualität des Systems im Kern zu steigern und einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu unterwerfen. Die vorhandenen Kapazitäten in der Überwachung müssen im Zuge dieses Qualitätssicherungsprozesses überprüft und angepasst werden. Mit dem zeitlichen Abstand zu den aktuellen Ereignissen dürfen die Bemühungen um wirksame Gegenmaßnahmen nicht zum Erlahmen kommen. Es geht hierbei nicht um ein neues Programm, sondern um die konsequente Umsetzung des 10-Punkte-Programms.
Es muss konstatiert werden, dass in den bisherigen Bemühungen bei der Umsetzung des 10-Punkteprogramms zwar eine Reihe von Verbesserungen bei den begleitenden Maßnahmen angestoßen und zum Teil bereits umgesetzt sind, zu einschneidenden strukturellen Reformen kam es in den Bundesländern aber bisher nicht. Der Grad des Reformbedarfes dürfte in den Ländern mit Sicherheit unterschiedlich sein. Dies schränkt jedoch nicht die Notwendigkeit, zu Reformen zu kommen, ein, sondern führt zu unterschiedlich großen notwendigen Anstrengungen, um die gemeinsam zu setzenden Qualitätsstandards zu erreichen.
Bei den Veränderungen geht es nicht darum die im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen in Frage zu stellen. Es geht vielmehr um eine bessere Ausfüllung der Länderkompetenzen und um eine wirksamere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Die Länder haben auf der Verbraucherschutzministerkonferenz im Grundsatz die Einführung eines Qualitätssicherungssystems beschlossen. Jetzt geht es darum, diese Standards im Detail festzulegen. Dieses Konzept stellt für die notwendige Diskussion einen Rahmen dar.
Einführung eines Qualitätsmanagementsystems
Kern des jetzigen Reformvorschlages ist deshalb die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems auf Landes- und Bundesebene, das im kollegialen Zusammenwirken der beiden Ebenen aufgebaut und betrieben wird. Die Grundzüge des Systems und die Verfahrensweisen sollen in der nächsten Novelle der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Lebensmittelüberwachung definiert und verbindlich festgelegt werden.
Eine wesentliche strukturelle Schwäche des Systems stellt außerdem das Fehlen geeigneter behördenübergreifender Informations- und Kommunikationssysteme dar. Zwar steht mit dem Fachinformationssystem Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit eine geeignete technische Basis zur Verfügung, die mangelnde Nutzung selbst im Krisenfall macht deutlich, dass es im föderalen Aufbau des Gesamtsystems eine klare rechtliche Verpflichtung zur Datenbereitstellung und zur Nutzung eines Systems geben muss, damit der Informationsfluss mit den notwendigen, angesichts eines beschleunigten Marktes immer kürzer werdenden Reaktionszeiten mithalten kann. Dies soll mit einem nationalen Frühwarnsystem Lebensmittelsicherheit erreicht werden.
Als drittes Kernelement des Reformvorschlages ist die verbindliche Verankerung der Einbeziehung des Bundes bei der Aufklärung komplexer Situationen zu nennen. Nur so ist es möglich
die Zulieferung an Daten verbindlich zu regeln und
die Erstellung von Lagebildern durch Experten des Bundes und die beratende Mitwirkung von Experten an Maßnahmen ggfls. auch vor Ort auf eine rechtssichere Basis zu stellen.
Begleitend zu diesen, das System im Kern reformierenden Ansätzen, sind alle ergänzenden, die Überwachung vor Ort unterstützenden und erleichternden Maßnahmen, die bereits auf der Grundlage des 10-Punkte-Programmes in die Wege geleitet wurden und neu vorgeschlagene Maßnahmen zum Teil auf nationaler zum Teil aber auf europäischer Ebene weiterzuverfolgen.
Unsere Maßnahmen im Einzelnen:
1. Aufbau und Betrieb eines Qualitätsmanagementsystems
Auf der Grundlage bestehender europäischer Vorschriften und noch zu ergänzender bundeseinheitlicher, konkretisierender Standards werden die personellen, sächlichen, organisatorischen Anforderungen an die Lebensmittelüberwachung auf allen Ebenen definiert.
Die Umsetzung der Standards und die laufende Überprüfung des Systems wird durch eine effektive länderübergreifende Auditierung mit Unterstützung des Bundes sichergestellt.
Auf dieser Grundlage sollen Empfehlungen für die personellen Kapazitäten und für die Zuordnung von Aufgaben zu einzelnen Ebenen (ggfls. Landesämter mit komplexeren Überwachungsaufgaben beauftragen statt der Kommunen) erarbeitet werden.
Zu den mit einem Qualitätssicherungssystem umzusetzenden Standards zählen:
Das Vier-Augen-Prinzip bei Betriebskontrollen:
Durch das Vier-Augen-Prinzip wird die Kontrollsituation objektiviert und Sicherheit vor Beeinflussung geschaffen
Das Rotationsprinzip des mit Kontrollaufgaben befassten Personals:
Dieses Prinzip schützt die Kontrolleure vor Abhängigkeiten
Unangekündigte Kontrollen während der Produktionszeiten der Betriebe:
Diese sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Effektivität von Kontrollen überhaupt
Risikoorientierter Schwerpunkteinsatz in Betrieben:
Dies bedeutet das Anpassen von Kontrollfrequenz, Kontrolltiefe und Kontrollzeiten an das Risiko, das von Produktion und Produzent ausgeht. Die Kontrollen werden effektiver.
Bessere Ausbildung und Ausstattung des Kontrollpersonals:
Das Kontrollpersonal muss durch Fortbildungen immer auf den neuesten Stand der Lebensmittelüberwachung sein. Ebenso ist eine bessere Ausstattung des Personals mit Schutzkleidung ( z. B. Thermowesten etc.) für die Kontrollen vor Ort zwingend notwendig.
2. Einführung eines Frühwarnsystems
Wir wollen ein nationales Frühwarnsystem einführen. Das soll das EU-Schnellwarnsystem ergänzen, indem Informationen über außergewöhnliche Ereignisse unterhalb der EU-relevanten Schwelle transportiert z.B. Ereignisse, die länderübergreifenden Charakter haben.
Es ist damit Grundlage für die länderübergreifende Warenrück- und Weiterverfolgung.
Es ist auch Datenbasis für Betriebsverstöße zur Unterstützung der Betriebsüberwachung der Länder. Weiterhin ist es Datenbasis für Untersuchungsergebnisse zur Trenderfassung und als Grundlage zur Expositionsabschätzung. Das System wird technisch und fachlich vom BVL betreut.
3. Einbeziehung des Bundes bei außergewöhnlichen Ereignissen
Die Einbeziehung des Bundes soll zukünftig so erfolgen, dass die Fachdienststellen des Bundes die Länder bei der Aufklärung komplexer Sachzusammenhänge in besonderen Situationen unterstützen. Bei der Tierseuchenbekämpfung wird das etwa durch Mitwirkung des Friedrich-Löffler-Instituts, dem Bundesinstitut für Tiergesundheit in äußerst bewährter Form schon lange so praktiziert. Dazu gehört die Erstellung eines bundesweiten Lagebildes zur Information der EU-Kommission, der Mitgliedsstaaten und von Drittstaaten und zur Information der Öffentlichkeit. Es dient darüber hinaus dazu, Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene vorzubereiten.
4. Begleitende Maßnahmen des Bundes zur Unterstützung der Lebensmittelüberwachung in den Ländern
Die nachfolgenden Maßnahmen lösen zwar nicht die strukturellen Mängel der Lebensmittelüberwachung, dienen aber ihrer Unterstützung.
Wir werden uns weiter für die EU-weite Einführung einer Meldepflicht für Firmen einsetzen, die Waren wegen Mängeln ablehnen: Wird zur Zeit von Kommission und Mitgliedsstaaten beraten.
Wir dringen auf die Verbesserung der Kennzeichnung insbesondere bei Tiefkühlwaren: Mitgliedsstaaten wurden bereits von der Kommission zu Vorschlägen aufgefordert.
Wir erarbeiten derzeit Leitlinien zur Durchführung des Verbraucherinformationsgesetzes:
In Vorbereitung ist die Gesetzesvorlage zum Antidumping im Lebensmittelbereich
Wir setzen uns für einen arbeitsrechtlicher Informantenschutz ein. derzeit in weiterer Prüfung im BMAS.
5. Vorhaben, die von Bund und Ländern derzeit geprüft werden.
Erweiterung der Vollzugs- und Ermittlungsbefugnisse für die in der Lebensmittelüberwachung tätigen Personen: Beschleunigt die Ermittlungsarbeit und den Informationsfluss zwischen den Behörden.
Erfassen des Schlachtdatums bei der Kennzeichnung von Fleischerzeugnissen: Soll die Identifikation eines Produktes und die Beurteilung der Verkehrsfähigkeit verbessern.
Verwendung intelligenter Chips in Verpackungen zur Rückverfolgbarkeit: Soll die Produktidentifizierung verbessern und Manipulationen erschweren.
Einführung von Sachkundenachweisen in Gastronomie und Handel: soll Verstöße verhindern, die Mangels Sachkunde erfolgen.
Unveränderbare manipulationssichere Kennzeichnung aller Schlachtabfälle: Soll sicherstellen, dass zum menschlichen Verzehr ungeeignete Materialien nicht in die Lebensmittelkette gelangen.
Zeitplan:
In den kommenden Monaten des Jahres 2006 werden diese Rahmenvorschläge des BMELV mit den Ländern auf Fachebene und auf Ministerebene diskutiert werden. Wir lassen jedoch keinen Zweifel offen, dass wir die dringend erforderlichen Maßnahmen rasch vorantreiben werde. Parallel zu den Beratungen mit den Ländern wird deshalb die Zuleitung an das Bundeskabinett und den Bundesrat vorbereitet, die für Anfang des kommenden Jahres vorgesehen ist.
Quelle: http://www.bmelv.de/cln_045/nn_754188/DE/02-Verbraucherschutz/Lebensmittelsicherheit/Reform-derLebensmitelueberwachung.html__nnn=true